Auf Links gedreht

Die Pandemie zwingt die deutschen Rehakliniken, ihren (Therapie-)Alltag radikal umzubauen. Ein Wandel ist überfällig, doch nach der Phase des quasi verordneten Leerstands sind viele Häuser ohnehin angezählt. Von einer neuen Normalität ist der Sektor weit entfernt.

Therapiearbeit im Krisenmodus entwickelt sich für deutsche Reha-Manager zum Albtraum ohne absehbares Ende. Die Belastung für die Häuser ist enorm. Sie müssen Abstandsregeln einhalten, Gruppen verkleinern, die Verpflegung umorganisieren, patientennahe Behandlungen umstellen und ihr Angebot einschränken. Zudem dürfen sich stationäre und ambulante Patienten nicht begegnen, weshalb viele ambulante Behandlungen erst gar nicht stattfinden. Hinzu kommt deutlicher Mehraufwand beim Personal – vom medizinischen Team bis hin zu Service und Reinigung. Auch Corona-Tests für neue Patienten und Mitarbeiter verursachen zusätzliche Material-, Transport- und Laborkosten.

„Es wurde alles auf Links gedreht“, sagt Dr. Norbert Hemken, Vorstand des Verbunds Norddeutscher Rehakliniken (VNR): „Trotzdem arbeiten die Kliniken momentan nur mit einer Auslastung von 60 bis 80 Prozent, müssen aber 100 Prozent der Kosten stemmen.“ Die Crux dabei: Die Pflegesätze seien auf 95 Prozent Auslastung kalkuliert. Thomas Bublitz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK), fordert für die Rehakliniken denn auch „einen angemessenen Corona-Zuschlag – am besten einen, mit dem ihre Leistungen bezahlt werden“. Das sei „sinnvoller und besser investiert als eine Leerstandspauschale“.

 

Hohe Mehrkosten

Regelrecht enttäuscht klingt Dr. André M. Schmidt angesichts der aktuellen Situation: „Nachdem uns in der Corona-Krise als Backup der Akuthäuser eine derart starke Rolle übertragen wurde, ist es für mich umso unverständlicher, dass wir von der Gesetzlichen Krankenversicherung und den politisch Verantwortlichen jetzt wieder vergessen werden“, klagt der Vorsitzende der Geschäftsführung von Median. Um eine sichere Reha zu gewährleisten, habe die Unternehmensgruppe – mit 120 Häusern größter privater Reha-Anbieter in Deutschland – zahlreiche Maßnahmen außerhalb des medizinischtherapeutischen Bereichs getroffen. Das führe zu täglichen Mehrkosten zwischen 15 und 20 Euro pro Rehabilitand, „die uns nicht erstattet werden“. Es brauche „ein klares Bekenntnis von Politik und Kostenträgern und eine eindeutige gesetzliche Grundlage“, fordert Schmidt.

Auch Norbert Hemken kann sich beim Thema Finanzen schnell in Rage reden. Insbesondere der Corona-Zuschlag von acht Euro pro Patient und Belegungstag für zusätzlichen Sachaufwand, den die Deutsche Rentenversicherung im Juli beschlossen hat, „bilde die Situation nicht annähernd ab“. Zudem sei der Kostendruck in den Verhandlungen, die jede einzelne Reha-Einrichtung mit jeder einzelnen Krankenkasse führen muss, unverändert. „Da findet Corona gar nicht statt“, ärgert sich Hemken.

Insgesamt ist der VNR-Vorstand überzeugt, dass sich „Reha generell ändern wird – bei Aufstellung, Geist und Trägervielfalt“. Je nach Dauer der Corona-Krise und der Art ihres jeweiligen Angebots „werden Einrichtungen auf der Strecke bleiben“, glaubt Hemken. Die 16 zumeist privat geführten und kettenunabhängigen Häuser mit knapp 4 300 Mitarbeitern, die sein Verbund vertritt, nimmt er von seiner Prognose zwar „ausdrücklich“ aus. Doch auch bei ihnen sei die Situation angespannt, denn die Krise nimmt Betten vom Markt: „Wir können nicht alle Patienten aufnehmen und müssen ablehnen.“

 

Lange Wartelisten

Das betreffe nicht nur die Reha als Heilverfahren ohne vorherigen Krankenhausaufenthalt, zum Beispiel bei Rückenproblemen. Auch bei den Anschlussheilbehandlungen (AHB), die spätestens innerhalb von 14 Tagen nach einem stationären Klinikaufenthalt beginnen müssen und branchenweit rund 40 Prozent aller Reha-Maßnahmen ausmachen, gebe es Engpässe. Allein im Reha-Zentrum am Meer in Bad Zwischenahn, dessen Geschäftsführer Hemken ist, bleiben Coronabedingt 85 der 460 Zimmer leer. Lange Wartelisten und entsprechende Beschwerden seien die Folgen.

Reha unter Corona-Bedingungen stelle so manche Klinik vor große Probleme, bestätigt Christian Wallwiener, Geschäftsführer der Unternehmensberatung WMC Healthcare in München – „vor allem aus den Reihen der kleineren Gruppen“. Der deutsche Reha-Markt ist starkt fragmentiert, viele Anbieter haben nur ein bis drei Häuser. Hinzu kommt die Sorge vor einer neuen Welle: „Viele sind unsicher, ob sie das noch einmal schaffen könnten.“ Die Anbieter haben versucht, Kosten zu reduzieren und dabei teilweise auch Personal abgebaut – „vor allem in nicht-medizinischen Bereichen“, sagt Wallwiener.

Mit Blick auf die Politik halte er bei bestimmten, für die Versorgung notwendigen Angeboten auch eine Art Sicherstellungszuschlag wie bei den Krankenhäusern für denkbar – zumindest zeitweise, „denn dieser Teil der Versorgungskette darf nicht wegbrechen“. Grundsätzlich allerdings wird jetzt umso deutlicher, dass notwendige Änderungen zu wenig vorangetrieben wurden. Reha in Deutschland laufe noch zu sehr traditionell ab, sagt Wallwiener und denkt an mehr ambulante Reha und telemedizinische Lösungen. „Die neuen Angebote müssen zügiger entwickelt und umgesetzt werden – auch mit Anreizen der Kostenträger.“ Für ihn ist absehbar, „dass 20 bis 30 Prozent der stationären Kapazitäten in der Zukunft so nicht mehr bestehen, sondern stattdessen in neue Konzepte fließen könnten“.

Für die Branche heißt das, sie muss umdenken und auch investieren – in neue Raumstrukturen für Gruppenkonzepte zum Beispiel, aber vor allem in das Thema Digitalisierung. Für die Begrüßung der Patienten oder abendliche Vorträge etwa bieten sich digital aufbereitete Beiträge an, sagt Mediclin-Vorstandschef Volker Hippler. Zudem arbeite sein Unternehmen intensiv an digitalen Reha-Lösungen. An einem Standort mit orthopädischem Behandlungskonzept etwa sei die Therapie aufgezeichnet worden, die Patienten sehen ihre Übungen jetzt auf Bildschirmen in ihren (Einzel-)Zimmern. Derweil gehen Therapeuten von Raum zu Raum, um die therapeutischen Maßnahmen zu begleiten, beschreibt Hippler: „Diese Interaktion sorgt für ein Gruppengefühl und damit für mehr Normalität.“ Auch an Apps für die Nachbetreuung der Patienten werde gearbeitet. Wichtig sei, all das langfristig zu denken, betont Hippler: „Nur so schaffen Rehakliniken den Weg in eine neue verantwortungsvolle Normalität.“

Telemedizin in der Nachsorge steht bei Median jetzt ebenfalls auf der Agenda. „In der Krise haben wir schnell dazugelernt“, sagt André Schmidt. Zudem seien vorhandene Systeme hochgefahren worden – etwa ein App-basiertes Training, das vor der Krise nur in ausgewählten Einrichtungen im Einsatz war. Innerhalb weniger Wochen sei es in allen Median-Kliniken verfügbar gewesen. „Außerdem haben wir diverse Vortragsinhalte als Videos auf unserer Onlineplattform für Patienten bereitgestellt“, erklärt Schmidt: „Hiervon werden wir auch dauerhaft profitieren.“

Mittelfristig gelte es jetzt, Rentenversicherungsträger und Krankenkassen von den neuen Ideen zu überzeugen, betont Mediclin-Chef Hippler. Mit der bisherigen Vergütung weiterzuarbeiten, sei jedenfalls keine Lösung. Für sein Unternehmen habe es sich zudem bewährt, nicht zu viel anzubieten, sondern sich auf einige Stärken zu konzentrieren. Mediclin fokussiere sich in seinen 36 Kliniken auf die Themen Herz, Kopf, Alter und Bewegung – und setze auf die Kombination von Akut- und Rehabilitationskliniken, sagt Hippler: „Davon profitieren wir jetzt.“

Auch VNR-Vorstand Hemken sieht bei aller Brisanz der Lage etwas Positives. Die Pandemie habe die Branche „aus dem Nischendasein mehr in die Öffentlichkeit gerückt“, sagt er. Dabei erlebte er die Zusammenarbeit mit anderen Geschäftsführern und den Verbänden „als sehr positiv“ – gerade als es darum ging, den Rettungsschirm auf die Reha auszudehnen: „Wir haben bewiesen, dass wir eine Stimme haben und zusammenstehen – und das wird auch erhalten bleiben.“

 

Jens Kohrs

Freier Journalist

Artikel aus der kma (Klinik Management aktuell), Ausgabe 09/2020

Foto: Dr. Norbert Hemken